Geleitwort

Geleitworte der Künstlerin
aus Anlass der Einweihung

Nürnberg 9. Juli 2000 – Menschwerdung Christi

LOGOS ‑ KOSMOS ‑ ANTHROPOS

“Menschwerdung Christi”, der Name, den Ihre Kirche und Sie als Gemeinde tragen, wurde mir vor mehr als einem Jahr ins Herz gelegt. Als ich “Ja” zu dieser Aufgabe sagte, ahnte ich noch nicht, wie sie mich weiten würde, dass ich mein Denken und meine innere Schau ihr in einer Weise öffnen musste, die mir einen Weg vorschrieb, den ich nur noch mit wachen Sinnen beschreiten konnte. Das heißt, ich suchte nicht grübelnd nach Lösungen, sondern wartete, auf ein lebendiges Bild, nachdem ich das Gängige und vielleicht auch von Ihnen Erwartete, wie eine Darstellung der Verkündigung oder der Geburt, beiseite gelegt hatte.
Wir alle tragen eine tiefe Sehnsucht in uns. Es sind nicht die Wünsche, die wir uns weitgehend in unserer wohlständigen Welt erfüllen können; wir spüren, dass da immer noch große Räume bleiben, die mit Materiellem nicht zu füllen sind. Wünsche, die das Sichtbare überschreiten, die aus unserem Abbildsein erwachsen. Die Schlange wusste, womit sie lockte: Ihr werdet sein wie Gott. Thomas von Aquin nahm diesen Gedanken auf: Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch göttlich werde. Das heißt, in der Menschwerdung Christi erfüllt sich die Sehnsucht der Schöpfung, von der Paulus sagt, dass sie in Wehen liegt, bis sie zurück in ihre Ganzheit gefunden hat.
Diese Menschwerdung Christi kann nicht ein punktuelles historisches Ereignis sein, sie geschieht seit Urbeginn: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, ehe noch das erste Atom mit seinem Feuerschein die Dunkelheit des Nichts erhellte. Ich sage bewusst, sie geschieht, denn unsere Zeit ist nur ein Teil der grenzenlosen Zeitlosigkeit, des ewigen Jetzt. Dieses Jetzt und Heute trägt alles Vergangene in sich, wenn auch geheimnisvoll verborgen. Das Durchsichtigwerden dieser archetypischen Bilder, die aus unserem gemeinsamen Unterbewussten wachsen, zeigt sich in Symbolen. Das Verstehen dieser Symbole fügt unserer dreidimensionalen Weltsicht eine vierte Dimension hinzu. Schon vor nahezu tausend Jahren hatte Hildegard von Bingen diese ganzheitliche Schau vom Mikro- und Makrokosmos, die sich gegenseitig durchdringen. Moderne Naturphilosophen sprechen vom holistischen Weltbild, was bedeutet, dass sich jede höhere Stufe der Evolution aus den tieferen Stufen speist. Und Teilhard de Chardin sagt in diesem Sinne, dass nicht das Erscheinen Gottes, sondern sein Durchscheinen im Universum das große Mysterium des Christentums ist.
Mit der Eroberung des Weltraums haben wir den Bannkreis der Erde durchbrochen, indem wir ihre Anziehungskraft überwunden haben. Das ist nicht nur technischer Fortschritt, das ist Wachstum unserer Perspektive: Mensch, Erde, Universum, vielleicht die vielen, sich ausweitenden Universen, sind der sichtbar gewordene Schöpfergott und sein von Ewigkeit her gezeugter Sohn. Dieses Verständnis hat mich in die Gestaltung Ihres Patronats “Menschwerdung Christi” hineingeführt.
Das bedeutet keineswegs nebulose Auflösung in Natur ‑ und Weltprozesse. Die Lebenserfahrung hat es uns längst gelehrt, wir müssen Tag für Tag die freud‑ und leidvolle Spannung in der Gegensätzlichkeit von senkrecht und waagerecht aushalten und bestehen, wir müssen die beiden nicht verschmelzbaren Balken des Kreuzes leben. So habe ich das Kreuz als Grundaussage, meiner Arbeit gewählt. Schon alte Indianerstämme zeichneten mit ihren Fußspuren ein Kreuz in den Boden, indem sie von Osten noch Westen und von Süden noch Norden gingen, aber immer wieder zurück zur Mitte, zur Mitte der Welt, um zu ihrem Gott heimzukehren. Noch früher in steinzeitlichen Höhlenzeichnungen finden wir das Kreuz als Bild des Menschen, in dem sich gewissermaßen die auseinanderstrebenden Urkräfte, der vier Paradiesströme wieder vereinigen. Denn unser Körper selbst trägt die Gestalt des Kreuzes in sich. Wenn Sie die Arme weit ausbreiten, können Sie spüren, wie unser waagerechtes Erdesein die zum Himmel strebende Senkrechte durchschneidet. Solche Körperhaltung finden wir auch schon auf Felsbildern von Ureinwohnern als Ehrfurchtsgebärde, deren magische Bedeutung sich in die Gebetshaltung der Orante gewandelt hat. Wir sind ausgespannt zwischen Himmel und Erde, zwischen Transpersonalem, ‑ dem, was unsere Person überschreitet, dem Absoluten, ‑ und dem Abgründigen, der Dunkelheit des nicht Auslotbaren, und mit den Armen können wir gleichsam unsere Ebene, die Weltkugel umspannen. So war das Kreuz in vielen Kulturen lange vor Golgatha schon sinnfälliges Symbol, das aber erst durch das Christusereignis die Welt selbst zum Leib Christi gemacht hat und den Menschen nicht mehr ohne Christus denken lässt.
Dieses Kreuz habe ich auseinander genommen, um seine Sinnhaftigkeit stärker bewusst zu machen. Hier strebt der vertikale Balken nicht nach oben. Er kommt als schöpferische Geste zu uns hernieder, indem er den trinitarischen Strahl mit Logos, dem Wort belädt.
Und dieses Wort fließt in den waagerechten Balken, wird Materie, wird Kosmos, wird Stein, Blume, Baum, Planet, Milchstraße, vor allem Wasser, aus dem alles Leben kommt. Zwei bewegte Linien deuten es an, und ohne mein Wollen war da ein Fisch in den Wellen, dessen Bildhaftigkeit ich hinterfragte. Wir klagen in der Theodizee Gott an, dass er all das Leid, das grenzenlose Grauen, das nicht nur aus der Freiheit unseres Willens kommt, in seinem Vatersein zulässt. Schon bei Hiob hören wir diesen Aufschrei gegen die Macht des Bösen. In Psalmen und der Apokalypse ist es Leviathan, das Tier aus dem Wasser, ein Fisch als Antichrist. Und Christus? Ichthys, der Fisch, der ihn überwindet, der sich als heilende Speise den Menschen gibt. So finden wir ihn auf vielen Katakombenbildern.
Sehen wir die beiden Kreuzesbalken wie These und Antithese, dann verlangt die Gestaltung des Themas noch einem dritten Element, der Synthese beider Aussagen. Zwei ist das Urprinzip der Vielheit, der Polarität. Drei aber bedeutet die Überwindung der Gegensätzlichkeit, Erfüllung in einer neuen Einheit. Jesus ist am dritten Tage von den Toten auferstanden.
So habe ich die beiden Teile wieder zu einem Ganzen zusammengefügt, um in der neuen Einheit Neues aufzuzeigen. Das neue Kreuz steht im Spannungsfeld seiner Ausgangselemente. Es ist in seinem Schnittpunkt, in seiner Herzmitte geöffnet. Hier entsteht neues Leben. In der Geborgenheit des Kreises, eines Mutterschosses, wächst das Kind. Das mag nun der punktuelle, historische Augenblick der Menschwerdung Christi sein, da Christus geboren wurde, um am Kreuz zu sterben. Darüber hinaus aber ist es auch meine persönliche Geburt, sowie die Geburt der ganzen Menschheit, die in der Annahme des Kreuzes ihre Wiedergeburt erfährt. Zwei Bedingungen stellt Jesus für die Teilhabe an seinem himmlischen Reich: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, und: Wenn du nicht wiedergeboren wirst. Schon in der Antike bedeutete das archetypische Bild des Kindes, vor allem des göttlichen Kindes, dem dann im Christentum besondere Verehrung zuteil wurde, Leben, Tod und Auferstehung. Diese Begriffe umreißen nicht nur unser physisches Dasein, wie es in der Nikodemusfrage zutage tritt: Muss ich zurückkehren in den Mutterschoss? Die Antwort lautet “Metanoia”, was nicht nur Abkehr vom Bösen heißt, sondern Umkehr als unaufhörliche Wandlung, in der wir immer wieder hineinsterben in Gott, wenn wir unser kleines Ich und seine Sachen loslassen, um ein wachsendes Selbst dafür zu empfangen.
Das ist ein lebenslanger Weg, den wir hier in einem weiteren Ursymbol finden, im Zeichen der Spirale. Auch sie taucht schon entlang der ganzen Menschheitsgeschichte auf, in diesem Sehnen nach Unsterblichkeit. Sie kommt aus dem Unendlichen und spult das Leben ab bis zum Mittelpunkt, der ihr zugleich Wendepunkt ist und strebt dann in immer größeren Kreisen hinaus ins Unbegrenzte. Auf dem Signum entspringt sie mit unserem Namen ‑ Anthropos = Mensch ‑ im Logos, dem Wort, und wird konzentrisch zum Beginn des Lebens geführt, zu unserer Geburt, zur Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Geist in diesem ewigen Kind. Das ist ihr neuer Anfang, der sie in schöpferischer Entfaltung wieder zurückkehren lässt zu ihrem Ursprung. Diese räumliche Bewegung vollzieht sich in der Dynamik der Zeit und zugleich in unserem geistigen Bewusstsein und schafft somit die vierte Dimension, die ich anfangs erwähnte. Ein‑ und Ausrollen der Spirale entspricht aber auch dem elementarsten Lebensprinzip unserer Leiblichkeit, dem Ein‑ und Ausatmen, dem Werde und Stirb, dem Stirb und Werde unserer Spiritualität.
Das letzte Symbol, das ich nicht unerwähnt lassen will, ist die Farbe, die ich nicht unterdrücken konnte, mit der ich die Tiefen der einzelnen Teile gefüllt habe. Sie ist Natur aus Edelsteinen: Der Lapislazuli steht mit seinem Blau für die Mystik im Logosbereich, das Grün des Malachit spricht die Farbe der Erde, und der Spiralgrund ist mit Rubinrot gefüllt: Blut, Liebe, Feuer des Geistes.
Sie spüren, das Signum an ihrer Eingangswand ist wirkliches Signum, Zeichen, das Unsichtbares sichtbar machen will. Es versucht, an das Mysterium der “Menschwerdung Christi” zu rühren. Die sinnlich‑ geistige Doppelnatur kann nur Vermittler sein. Was bedeutet für Sie der hier überbrachte Weg? Ist er nur Gestaltung oder auch Möglichkeit der Selbstfindung im Labyrinth unseres Daseins? Fühlen Sie sich ungeschützt verloren in dieser kosmischen Weite oder birgt Sie die Grenzenlosigkeit, wenn sie durchlässig wird für die Nähe des fernen Gottes?

EVAMARIA BRÜCKNER von EIFF

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